Vor 30 Jahren wurde das Abkommen von Dayton geschlossen. Zuvor hatten Regierungen westlicher Staaten während der Kriege in Ex-Jugoslawien nicht nur ernsthafte Friedensbemühungen vermissen lassen, sondern konstruktive Lösungen immer wieder sabotiert. Sie nahmen die Eskalation des Krieges vor allem in Bosnien aus geostrategischen Erwägungen heraus billigend in Kauf und heizten diese mitunter sogar wissentlich und vorsätzlich an. Von Günther Auth.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Die politische Krise, die schlussendlich zum Staatszerfall Jugoslawiens führen sollte, entzündete sich an Volksabstimmungen, die im Zeitraum von Dezember 1990 bis März 1992 in den Teilrepubliken Slowenien, Kroatien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina durchgeführt wurden. Die wahlberechtigten Bürger der vier Teilrepubliken waren aufgefordert, über den Verbleib ihrer Republiken im föderalen Gesamtstaat zu entscheiden. In allen vier Teilrepubliken votierte eine Mehrheit für die politische Unabhängigkeit. Die Ergebnisse in Slowenien, Kroatien und Mazedonien lagen jeweils bei ca. 90 Prozent. Das Referendum in Bosnien-Herzegowina ergab nur etwas über 60 Prozent an Zustimmung für den Austritt, da die meisten bosnischen Serben das Referendum boykottierten. Im Zeitraum von Juni 1991 bis März 1992 erklärten die vier Teilrepubliken einseitig ihren Austritt aus dem Bundesstaat Jugoslawien. Kroatien und Slowenien wurden nach einer Übergangsfrist am 15. Januar 1992 von der EU anerkannt; die Anerkennung Bosnien-Herzegowinas folgte am 6. April 1992; Mazedonien wurde am 8. April 1993 unter dem Namen ‚Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien‘ von der Generalversammlung der Vereinten Nationen anerkannt.
Der verengte Blick auf den ethnischen Nationalismus
In der wissenschaftlichen Debatte wurden die zeitgleich ablaufenden Unabhängigkeitsbestrebungen der Teilrepubliken überwiegend auf historisch und soziokulturell bedingte Konflikte zwischen den Volksgruppen sowie auf ökonomische Disparitäten und Spannungen bei der Umverteilung des gesamtstaatlich erwirtschafteten Sozialprodukts zurückgeführt[1]. Laut David Gibbs bestand zwischen diesen Faktoren ein direkter Zusammenhang, insofern „[…] the rising level of ethnic tensions tended to correlate with regional economic inequality.“[2] Das lag nicht zuletzt daran, dass die führenden politischen Kräfte in den wohlhabenderen Republiken Slowenien und Kroatien Jugoslawien schon seit den 1970er-Jahren als ein Umverteilungsprojekt zu ihren Lasten beschrieben hatten, während die Führungsschichten in den ärmeren Republiken den Bundesstaat als einen überlebenswichtigen Solidaritätsrahmen verteidigten. Einer der Hauptgründe für die ökonomische Krise Jugoslawiens lag in der hohen Schuldenlast, die seit den weltwirtschaftlichen Turbulenzen während der 1970er-Jahre ständig anwuchs und in den 1980er-Jahren eine Höhe von rund 20 Milliarden US-Dollar erreicht hatte[3]. Die dadurch heraufbeschworene Zahlungsunfähigkeit Jugoslawiens wurde von westlichen Gläubigerstaaten (v.a. USA, Deutschland, Großbritannien und Frankreich) mit harten IWF-Auflagen beantwortet.
Die erzwungene Abwertung des jugoslawischen Dinars, erhebliche Kürzungen bei den Sozialausgaben, umfänglicher Subventionsabbau, Preisliberalisierung und Privatisierungsdruck führten in Jugoslawien sukzessive zu einer hohen Inflation, die vor allem in Serbien, Kosovo, Mazedonien und Bosnien zu Produktionsrückgang, Betriebsschließungen, Lohnkürzungen und Massenarbeitslosigkeit führte[4], während die exportorientierten Teilrepubliken Slowenien und Kroatien von der Währungsabwertung profitierten. Die unmittelbare Folge daraus war steigender Argwohn zwischen den Teilrepubliken, v.a. nachdem die Regierungen in Slowenien
Published on 3 days, 5 hours ago
If you like Podbriefly.com, please consider donating to support the ongoing development.
Donate