Season 2 Episode 17
Zulässigkeit von nicht offenbarten ("undisclosed") Disclaimern zur Abgrenzung von zufälligen Vorveröffentlichungen und älteren Rechten
In dieser Folge sprechen Lukas Fleischer und Michael Stadler über die verbundenen Entscheidungen G 1/03 und G 2/03 der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts aus dem Jahr 2004, die unter dem Schlagwort "Disclaimer" bekannt geworden ist. Diese Entscheidungen beschäftigen sich mit der Frage ob und vor welchem rechtlichen Hintergrund nicht ursprungsoffenbarte Disclaimer, sogenannte "undisclosed diclaimer", zulässig sind.
erster Vorlagefall: beschichtetes Glassubstrat
Die dem ersten Vorlagefall zugrunde liegende Erfindung betrifft ein mit einem Metallfilm und einer Schutzschicht beschichtetes Glassubstrat, wobei die Beschichtung dazu dient, eine hohe Temperaturbeständigkeit ohne Verlust der optischen Eigenschaften zu erreichen.
Im Einspruchsverfahren wurde ein Stand der Technik Dokument herangezogen, das metallische Beschichtungen offenbarte, deren Zusammensetzung unter den Anspruch fielen, obwohl die Beschichtungen auf einem Glassubstrat aufgebracht waren, um eine Goldfärbung mit möglichst günstigen Materialien zu erreichen.
Der Patentinhaber versuchte sich dadurch abzugrenzen, dass er einen nicht ursprungsoffenbarten Disclaimer einführte, um genau die vorgehaltenen neuheitsschädlichen Kombinationen aus dem Stand der Technik auszuschließen. Dabei berief er sich auf das in der Rechtsprechung geschaffene Rechtsinstitut der "zufälligen Vorveröffentlichung". Im Beschwerdeverfahren wurde die grundsätzliche Zulässigkeit der undisclosed Disclaimer im Lichte der unterschiedlichen Rechtsprechungslinien, insbesondere im Hinblick auf die Problematik mit Art 123 EPÜ, in Frage gestellt, was zur ersten Vorlage führte.
zweiter Vorlagefall: HIV-Test
Dem zweiten Vorlagefall liegt ein Test zur Erkennung von AIDS-bezogenen Krankheiten, konkret die Verwendung synthetischer Peptide zur Virus- oder Antikörperdetektion, als Erfindung zugrunde. Im Einspruchsverfahren wurde ein älteres Recht, also Stand der Technik nach Art 54 (3) EPÜ, eingeführt, das neuheitsschädlich für das erteilte Patent war. Auch hier versuchte sich der Patentinhaber durch nicht ursprungsoffenbarte Disclaimer von dieser Vorveröffentlichung abzugrenzen.
Da bereits die Vorlagefragen aus dem ersten Fall bekannt waren, ergänzte die hier vorlegende Beschwerdekammer lediglich die zusätzliche Frage, ob ein nicht ursprungsoffenbarter Disclaimer zur Abgrenzung von einem älteren Recht zulässig ist.
Vorlagefragen
Der Großen Beschwerdekammer wurden im ersten Vorlagefall (beschichtetes Glassubstrat) die folgende Fragen zur Entscheidung vorgelegt:
Ist die Änderung eines Anspruchs durch die Aufnahme eines Disclaimers schon deshalb nach Artikel 123 (2) EPÜ unzulässig, weil weder der Disclaimer noch der durch ihn aus dem Schutzumfang des Anspruchs ausgeschlossene Gegenstand aus der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung herleitbar ist?
Falls Frage 1 zu verneinen ist, nach welchen Kriterien ist dann die Zulässigkeit eines Disclaimers zu beurteilen?
a) Ist es insbesondere von Bedeutung, ob der Anspruch gegenüber einem Stand der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ oder gegenüber einem Stand der Technik nach Artikel 54 (2) EPÜ abgegrenzt werden soll?
b) Muß der durch den Disclaimer ausgeschlossene Gegenstand strikt auf den in einem bestimmten Dokument des Stands der Technik offenbarten Gegenstand begrenzt sein?
c) Ist es von Bedeutung, ob der Disclaimer erforderlich ist, um dem beanspruchten Gegenstand Neuheit gegenüber dem Stand der Technik zu verleihen?
d) Ist das in der bisherigen Rechtsprechung entwickelte Kriterium anzuwenden, daß es sich um eine zufällige Offenbarung handeln muß, und wenn ja, wann ist eine Offenbarung als zufällig anzusehen, oder
e)
Published on 7 months, 1 week ago
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